SPANNENDES HISTORIENEPOS „HERZ AUS STAHL“: DAVID AYERS („SUICIDE SQUAD“, 2016) ZWEITES WELTKRIEGSDRAMA IST EIN ELEGISCHER BILDERBOGEN MIT VIEL HERZBLUT, INDEM DER STOISCHE KOMMANDANT COLLIER (BRAD PITT) – „WORLD WAR Z“, 2013, – SEINE MÜRBEN GLIEDER AUF DIE ROSTLAUBE NAMENS „FURY“ KNICKT UND VOLLES ROHR DURCH DIE PROVINZ KNATTERT, UM IM ENDEFFEKT DIE WEICH GEKLOPFTEN NAZIÜBERBLEIBSEL VOR DIE FLINTE ZU KRIEGEN. – „HERZ AUS STAHL“: STRENG EXISTENZIELL UND PROSAISCHES KRIEGSGESCHEHEN EINSCHLIESSLICH WUCHTIGER SCHIESSGEFECHTE ALS AUCH AUSSENSEITERMYTHOS UND EISENHARTER PANZERACTION. EIN MODERNES WAFFENRAD FÜR KENNER VON MARTIAL-ART-WESTERN UND FILMKUNSTBELLIZISTEN!
„Herz aus Stahl”: Das Drama ist aus der Sicht der US-Alliierten und des jungen Rekruten Logan Lerman („Noah”, 2014) geschildert, angeführt von Brad Pitts („12 Years a Slave”, 2013) kampferprobten und wortkargen Veteranen, genannt „Wardaddy”, der seine Jungs in Deutschland im April 1945 in ein Selbstmordkommando treibt. David Ayers („Sabotage”, 2014) Actionfilm ist ein minimalistisch belehrendes historisches Epos, in dem Superstar Brad Pitt als Antiheld die letzten deutschen Widerstandsnester ausbombt. Auf den Zug der Infanterie springen auf: Shia LaBeouf, Logan Lerman, Michael Peña und Jon Bernthal
„Captain America“ zieht eine durch
Brad Pitt brillierte bereits in früheren Jahren in Kriegsfilmen. Und in „Herz aus Stahl“ gewinnt Brad Pitt einmal mehr den Zweiten Weltkrieg. Der „Inglourious Basterds“-Star fährt also in dieser furchtbaren Auseinandersetzung und Abrechnung einer amerikanischen Panzerbesatzung im Kriegsgeschehen des Nazi-Deutschlands eine weitere Arbeitsschicht ein. Sie erinnern sich, 2013 gewann er auch „World War Z“.
„Herz aus Stahl“-Drehbuchautor und Regisseur David Ayers Kriegsfilm eröffnet das Gemetzel mit Don „Wardaddy“ Colliers (Brad Pitt) – „12 Years a Slave“, 2013, – gruseligen Kettenantrieb, der einen hessischen Kavallerieoffizier und Reitersmann mit einem Messer vom Pferd holend – eine gespenstische „Sleepy Hollow“-Szenerie abstotternd – absticht, und dessen Auge, als ein erbeutetes Mitbringsel aus dem deutschen Schädel schneidet. Der Teenhorrorvorspann ist dem Panzertreck zwar noch nicht auf der Spur, das in Nebelschwaden gesponnene und spukende Bildmaterial ist symbolisch mehr als Zeichen des Sieges zu verstehen: Das Haupt des getöteten Krautfressers erklärt die angemessene Trophäe und die angebrachte Wendung der gesamten Kriegssituation …
Die durch die Hölle preschen
In Ayers Film ist die Mannschaft eine bewusst nach Schema F geordnete Ansammlung von Armeetypen. Wir haben alle diese olivfarbenen Kerle schon vorher in zeitgenössischen Kriegsfilmen wie „Das dreckige Dutzend“, 1967, oder „Stoßtrupp Gold“, 1970, gesehen. Der knallharte Führer mit einem versteckten Streifen von Mitgefühl (Brad Pitt); der blauäugige Neuling (Logan Lerman); das südlich-abgefüllte Großmaul Grady Travis (Jon Bernthal) – „The Wolf Of Wall Street“, 2013, – besser bekannt als „Rattenarsch“, den in vieler Hinsicht sittlich verdorbenen und gefährlichen guten alten Jungen; der leise sprechende Grummler Trini Garcia (Michael Peña) – „American Hustle“, 2013, – als der zweisprachige Latino aus dem Südwesten, genannt „Gordo“; und der Richtschütze Boyd Swan (Shia LaBeouf) – „Nymphomaniac: Vol. 1 und 2“, 2013, – in einer auffällig unauffälligen konzentrierten Darstellung als der bibelfeste aufrichtige Wehrmann.
Skepsis bestimmt das Schicksal
Norman dient uns als Fenster in die Welt des Krieges, das er anfangs versessen zu vernageln und künftig durch den Einfluss Colliers zu öffnen versucht. Als die anderen Soldaten Norman treffen, beginnen sie zuerst zu raten, woher er kommt, wie in den oben erwähnten ironischen Klassikern, in denen teils realistische, teils unwahrscheinliche Kriegsgeschichten zu betrachten sind. Als Norman die Frage beantwortet, teilt ihm die Truppe mit, dass er die Klappe halten soll. Schließlich geht es ihnen am Arsch vorbei. Solche lakonisch-absurden Situationen fallen stets „Wardaddy“ in den Schoß, der Norman bricht und in der Kunst des Tötens abrichtet, und: Auf dass er sich auch einen „Kriegsnamen“ verdient – „Maschine“ nennen sie ihn von da an.
Revolverheld bringt Lakaien in Schuss
Nach einer Instandhaltung der Kriegsraupe von ein paar Minuten hat die Einheit gerade ein Mitglied ihrer fünfköpfigen Mannschaft verloren und greift den Ersatzmann Norman Ellison (Logan Lerman) – „Noah“, 2014, – auf, den „Wardaddy“ aus dem Schreibkraftkader klaubt und an die Front kommandiert. Einer verängstigten und schlecht vorbereiteten Schlachtjungfrau gleich – um mit einem Eimer Wasser zu bereinigen, was von dem Quasi-Bordschützen übrig blieb (ein sich in roter Lache auflösender Hautfetzen; als ob „Michael Myers“ seine aufgenähte Gesichtsmaske abgestreift hatte) – besetzt Norman den Sitz als Bordschütze: „Hast du schon mal getötet?“, fragt der erbarmungslose Sergeant Don Collier den charmanten Neuling und Schreiber. „Nein“, antwortet dieser zutiefst erschüttert. „Das wirst du noch“, spuckt der große Kerl Töne aus.
Heiliges Kanonenrohr
Sie sind ein verschworener Haufen, der zusammen durch die Hölle geht, nachdem sie in Nordafrika, dann Frankreich und Belgien – und nun – in Deutschland Nazis zur Strecke bringen. Ihr langer Marsch ist fast vorbei, aber sehen Sie in ihre schwarzen von Ruß und Dreck verkrusteten Gesichter und heimgesuchten, verlorenen Blicke, die einer peritraumatischen Dissoziation ähneln, denn spätestens dann vermitteln Sie nie den Eindruck, dass sie für die Gewinnerseite ihr Leben aufs Spiel setzen. David Ayers kriegerische Panzerschlacht – „Herz aus Stahl“ – setzt in Brad Pitts Alleingang einen Antihelden frei, dem man folgen kann, aber nicht richtig verstehen mag.
Alliierte steigen auf die Barrikaden
Ayers historischer Beitrag manifestiert sich in der vernachlässigten Kategorie der Filme von Menschen, die für die Freiheit, dem Frieden, dem Vaterland sowie dem Sternenbanner die MGs zücken und als Fahnen im Wind hissen, mit hartgesottenen und moralisch hin- und hergerissenen Alltagssoldaten, die sich auf den Abschlusstest ihrer Charakterstärke wie eine Tretmine scharfmachen. Abgesehen von Boyd „Bible“ Swan, der die Heilige Schrift aufrollt und zitiert. Aber wir sehen in „Herz aus Stahl“ nur Amerikaner herum knattern. Was ist mit den Briten, Franzmännern und Russen? So gesehen können wir „Wardaddy“ auch „Captain America“ nennen.
Im Namen des Vaters: Auge um Auge …
Wenn Ayers Bilder Ultragewalt, Irrealität (im zweiten Drittel verschmelzen die Figuren geistig mit ihren Eisenwaren – es ist als ob die Büchse, in der sie sitzen, zu Fleisch wird) – und maskuline Empathien kombinieren, ist zumindest die Brandmarkung unverwechselbar und hat weniger Ähnlichkeit mit den jugendlich-orientierten Actionfantasien, die die Hollywoodproduktion beherrschen. Ayer schrieb zwei der unerbittlichen und unvergesslichen Copfilme der letzten Jahrzehnte, „Training Day“, 2001, und „End of Watch“, 2012, (bei Letzterem führt er auch Regie), und mit „Herz aus Stahl“ lenkt er seine intensive Konzentration auf ein Genre, das zum Tummelplatz der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts vorrückt, weil er uns die Einblicke der anderen verbündeten Nationen verwehrt: Die Amerikaner und „Captain America“ retten einmal mehr die Welt …
Der Wildeste unter Tausend
Die verbündeten Streitmächte (die UdSSR, Frankreich und Großbritannien marschieren in „Herz aus Stahl“ nicht auf) strömen aus allen Richtungen auf Berlin zu, wissend, dass der Krieg innerhalb von Tagen oder Wochen zu Ende ist. Aber „Wardaddys“ Panzerzug und ein paar andere unterversorgte Fragmente der US-Armee vermöbeln im südlichen Deutschland resistente kleine militärische Dorfstützpunkte. Und „Wardaddy“ wagt es mit den beinahe siegreichen Überbleibselsoldaten der 2. Panzerdivision, die sich als Außenseiter durchsetzen, den verdammten Krieg fortzusetzen, in einem Film, der in Deutschland im April 1945 spielt, nur wenige Tage bevor Hitler sein Gehirn in einem Bunker wie eine Kerze auspustet.
Die Action wagt es auch, und Ayers Lösung heißt: Setze die Protagonisten in ein Kettenfahrzeug, in dem ihre ratternden Waffen von den feindlichen weit übertroffen werden. Nach dem ewigen „David gegen Goliat”-Prinzip, dessen Inhalt das Alte Testament genau so wie der Koran rauf und runter predigt. Henry Ford produzierte den amerikanischen dünnhäutigen „Sherman“-Panzer; Ferdinand Porsche entwickelte den deutschen viel größeren, stabileren „Tiger“.
„Sherman“ vs. „Tiger“
Und obwohl der Krieg in Kürze beendet sein würde, können sich die US-Soldaten nicht schonen wie „Privates“ bei der Grundausbildung vor dem Abschluss. Ihre Mission ist es, sich durch Deutschland zu wälzen, dessen Naziführer jeden Bürger aufruft, um die Eindringlinge unter die Erde zu kämpfen. Für die Amerikaner ist jede Person, die sie treffen, ein möglicher Scharfschütze; jeder Mann, jede Frau und jedes Kind Kanonenfutter. Einige der Soldaten werden zu effizienten Tötungsmaschinen. Einige von ihnen könnten es sich gewünscht haben. Und eines der ersten Dinge, die Sie in „Herz aus Stahl“ bemerken, ist, dass es gerade so einfach ist, am letzten Tag eines Krieges beim Sterben der Erste zu sein!
„Der Krieg ist bald zu Ende“, sagt Wardaddy, in einer der Standardbinsenweisheiten, die als Dialog des Films herhalten. „Doch bevor er endet, sterben viele Menschen.“ Oder: „Ideale sind friedlich“, sagt er zu Norman, „aber Geschichte ist gewalttätig!“ Dennoch spiegelt „Herz aus Stahl“ auch, kaum mehr als den Post-Vietnam-Schatten, den Filme wie „Platoon“, 1986, und „Full Metal Jacket“, 1987, verprügeln. Das Actiondrama ist zumindest dem spöttischen oder reumütigen postmodernen Bewusstsein, das die meisten der neuzeitlichen „Zweite Weltkriegs“-Streifen gewahren – von „Der Soldat James Ryan“, 1998, zu „Inglourious Basterds“, 2009, und sogar „Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“, 2014, mit Abstrichen – auf den Fersen.
Deutsche Mädels bewirten die US-Soldaten
Jedes Jahr versehen uns Filme mit einer Handvoll mustergültiger Szenen, die so gut sind, dass sie zu einem Teil der Landschaft unseres Geistes werden. In „Herz aus Stahl“ finden wir eine solche Szene, als der Sergeant „Wardaddy“ und der junge Norman in ein Haus eindringen, wo sich zwei gut gekleidete weibliche Cousinen, die Stoffreste der lokalen Gesellschaft, Emma (Alicia von Rittberg) – „Die Hebamme“, 2014, – und Irma (Anamaria Marinca) – Preisträgerin als beste Darstellerin des Stockholm Film Festival für: „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, 2007, – verkriechen.
Von langer Hand her vorbereitet: Sex
Norman und Emma erfahren in dieser Dachterrassenwohnung auch eine angespannte, zärtliche, schmerzhafte und emotional kleinere Einheit eines Kammerspiels, die Ayers wesentliche Frage in wenigen Minuten aufkocht: Kann die Ansteckung des Krieges in einer Person oder einer Truppe innewohnen und kontrolliert werden? Oder endet immer alles verderbend? Wie allmählich bei der Sexszene zwischen Norman und Emma allzu deutlich wird, ist der Grundsatz, der amerikanische Helden von Kriegsverbrechern trennt, fast zu gut zu erkennen. Das, würde Ayer argumentieren, ist nur Krieg. Dennoch führt er eine Szene aus, die unter der Last seiner Klischees stolpern könnte.
„Fury“ ackert durch vermintes Areal
Als einmal „Herz aus Stahl“ die desaströse durch Rauch und Qualm verschleierte Grundausbildung überwindet, taucht der Betrachter in den Kriegsalbtraum ein wie seine kantigen amerikanischen Invasoren. „Herz aus Stahl“ kommt nicht in die Nähe der Verwirklichung dieser belehrenden filmischen Opfertode, geschweige denn Samuel Maozs erschütternden israelischen Film „Lebanon“, 2009, der eine klaustrophobische Psychopathie herbeiruft, indem er quasi die ganze Handlung innerhalb eines Israel-Panzers absetzt. Aber Ayers Film hat die bewundernswerte Authentizität zu zeigen, wie selbst der gewöhnliche Soldat als ein wildes Tier durch den Krieg verroht. Sie sind schmutzig, sie sind erschöpft, kriechen auf dem Zahnfleisch einher, und: Sie sind brutal und unmenschlich. Sie sind nicht bessere oder schlechtere Menschen, nur weil sie den Schlachtruf hautnah miterleben. Sie sind viel schlimmer, weil sie der Krieg dazu macht.
Nazis im Visier
In „Herz aus Stahl“ schneidet Regisseur Ayer den bildlichen Ausdruck der brachialen Umgebung ab, und eine Planierraupe schiebt Körper in ein Massengrab. Solche und ähnliche Szenen sind für ein oder zwei Sekunden kurz eingeblendet. Die Männer, nach allen Überlegungen, verharren auch nicht. Das ist alltäglich geworden. Das stimmt gut überein, da sich das Drama um die Art und Weise angemessen positioniert, um zumindest „normale“ Soldaten zu erfassen, die in gewalttätigen Aufgaben verloren gehen und ihre Verbindung zur Außenwelt verlieren.
Aber Sie werden „Herz aus Stahl“ nicht so schnell vergessen. Ayer und Kameramann Roman Vasyanov verschärfen die Spannung noch einmal, als die Panzerbesatzung hinter den feindlichen Linien in die Enge getrieben wird, und „Wardaddy“ ein ausgebranntes Nachzüglerbataillon der SS-Truppen ganz alleine ausradieren möchte – in einer fast lächerlichen Orgie der blinden Wut mit einer großen Anzahl von Toten. Bleibt über: wer geht als Held nach Hause? Wer stirbt den Märtyrertod? Und wer wird in den Ruinen des Tausendjährigen Reiches begraben? Das ist auch eine Frage für die Historie, in diesem bitteren Martial-Art-Western, der auch mit seiner gnaden- und rücksichtslosen Panzeraction zu den besten Zweiten-Weltkriegs-Streifen zählt …
Hell on Wheels vs. SS-Trupp
Herz aus Stahl; OT: Fury, USA/UK/CA 2014; Länge: 134 Min.; Regie: David Ayer; Darsteller: Brad Pitt, Shia LaBeouf, Logan Lerman, Michael Peña, Jon Bernthal, Jim Parrack, Brad William Henke, Xavier Samuel; Drehbuch: David Ayer; Kamera: Roman Vasyanov; Musik: Steven Price (II); Produktion: Anton Lessine, Sasha Shapiro, Ben Waisbren, Alex Ott, Brad Pitt; Schnitt: Dody Dorn, Jay Cassidy; Genre: Zweites Weltkriegs-Drama; FSK: ab 16; Verleih: Sony Pictures