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HEUTE BIN ICH SAMBA

TRAGIKOMÖDIE DIE FRANZÖSISCHEN AUTORENFILMER OLIVIER NAKACHE UND ERIC TOLEDANO, DIE MIT DER „EIN SELTSAMES PAAR“-KOMÖDIE – „ZIEMLICH BESTE FREUNDE“, 2011, – DIE UNAUSROTTBAREN VORURTEILE GEGEN FARBIGE ISLAMISCHE KNASTBRÜDER AUSMISTEN, RÄUMEN MIT DER MENSCHENDISKRIMINIERUNG IN PARIS DEZENT BIS DISKRET AUF: DAS ANHÄNGLICHE PAAR – SAMBA CISSÉ (OMAR SY), EIN SENEGALESISCHER, JEDOCH POLITISCH VERFOLGTER IMMIGRANT, UND SEINE SACHWALTERIN ALICE (CHARLOTTE GAINSBOURG) – RÜCKT AUF EIN INTIMES TÊTE-À-TÊTE ZUSAMMEN, ENTBLÖSST DIE VOLLENDETE TATSACHE DES SYSTEMS UND GEWANDET SICH IM WEITEREN VERLAUF OB DES GRAUEN ALLTAGS EHER HAUSBACKEN. – „HEUTE BIN ICH SAMBA“ UMARMT DEN ZUGRUNDE LIEGENDEN RASSISMUS MIT SÜSSHOLZGERASPEL UND MACHT LÄSSIG FRONT GEGEN INTOLERANZ

 

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Flüchtlingskrisenherd Paris: Omar Sys („Jurassic World“, 2015) beharrlicher, aber schrulliger Einwanderer, Samba, läuft sich in der Absurdität der Immigranten fest, verfügt über falsche Papiere – und die naive Alice (Charlotte Gainsbourg) – „Nymph()maniac“, 2013, –, einer stressbedingten Firmendrohne, die sich gewiss bei der Einreisebehörde rehabilitiert – finden sich in dem sachlichen Spielfilm von Olivier Nakache und Eric Toledano („Ziemlich beste Freunde“, 2011) relativ cool und schäkern in mehrteiligen Schwarz-auf-weiß-Nummern mit dem Publikum. „Heute bin ich Samba“ überzeugt aufgrund der skurril-liebenswürdigen aber oberflächlich skizzierten Charaktere nicht gänzlich, ist aber trotz des schweren Stoffs leicht zugänglich und ehrlich in der kulturübergreifenden Aussprache von politischen Zwängen.

„Samba? … Mein Name ist, okay, Samba!“

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HEUTE BIN ICH SAMBA Cissé (Omar Sy, l.) in Erklärungsnot und – merde! – vor allem Alice (Charlotte Gainsbourg, M.) und Manu (Izïa Higelin) verstehen bei Samba nur „Bahnhof“ …

Wenn überhaupt noch etwas vom 2011er-Erfolgsfilm „Ziemlich beste Freunde“ im kollektiven Gedächtnis der Zuschauer haftet, ist es das äußerst einfache Lebensgefühl und das ziemlich reiche Onkel, die noch dazu an einen Rollstuhl gefesselt sind, schwarz sehen und Pot bis zum Abwinken qualmen. Und es ist wahrscheinlich die locker gut gebaute physische Ausstrahlung von Omar Sy, der in „Heute bin ich Samba“ den dazugehörigen einfachen Rittberger aufs Parkett legt, in einem Blitzbeton-Einkaufszentrum. Doch: Der Titel bezieht sich nicht auf den pulsierenden brasilianischen Rhythmus der kollidierenden Pobacken, sondern auf den nichtssagenden Vornamen von Cissé (Omar Sy) – „Jurassic World“, 2016, –, einem illegalen senegalesischen Einwanderer aus Paris.

Strahlt sich einen auf Probe

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HEUTE BIN ICH SAMBA  Cissés (M.) notorisch aufgesetztes Lächeln springt potenzielle Gesprächspartner an.

Der Film streift dennoch eine musikalische Sequenz im Mittelteil und in der Eröffnung für eine geraume Kurzweil: Wir sehen ausgelassene tanzende Mädchen, Konfetti, Nachtschwärmer und Champagner auf einer Technohochzeitsfeier in einem Restaurant rund um das sprichwörtliche Hoch-soll-sie-leben-Torte. In der hintersten Ecke schuftet Samba Cissé und seine Mannschaft von überwiegend schwarzen Gelegenheitsarbeitern – die bei der bezahlten Tätigkeit das Steuerschlupfloch schröpfen – und die sich beim Teller waschen vergebens abmühen und wegschwitzen, um der einstweiligen Verfügung zu entsprechen, die da heißt: in Frankreich weiter hart verdiente Kohle hinsichtlich des Aufenthalts zu scheffeln. Folgt Samba dieser Anweisung nicht, muss er die gesetzliche Ausreise nach Dakar antreten, obgleich er bereits 10 Jahre in Frankreich mit seinem sterbenskranken Vater lebt.

Blüht auf: Alice im Wunderland

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HEUTE BIN ICH SAMBA Alice (r.), die stellvertretende Fürsorge, wittert bei Samba Cissé Morgenluft.

Die Filmemacher Nakache und Toledano stellen Cissé die Verbündete der Einreisebehörde an die Seite – Alice (Charlotte Gainsbourg) – „Nymph()maniac“, 2013, –, die sich erst ihren eigenen Dämonen stellen muss, und praktisch den Weg der Nicht-Zwangsvollstreckung in der Schwebe und eventuellen Liebhaberin beschreitet – nach der, der stellenlose und dunkel-umrissene Samba Ausschau hält, seiner neuen Ersatzweise-Einwanderungsberaterin ohne Ausbildung und Fortune und Vergangenheit – die mit einer Depression und einer Handtasche voll Pillen in den Straßen von Paris aufwartet. Das chaotisch bis absonderlich Anmutende ist voraussehbar …

Die Regisseure halten radikal an die Gegensätze-ziehen-sich-an-Vorstellung fest, und der zwischen Drama und Komödie angesiedelte „Heute bin ich Samba“ kriegt die Kurve: Alice, die ausgebrannte Managerin, hört auf die Empfehlung der Bekanntschaft von Manu (Izïa Higelin), notwendigerweise um einen Ausweg aus ihrer eigenen fatalen Situation zu finden, und beginnt sich für Sambas Probleme zu interessieren, was dazu führt, dass Alice zwar die bestimmten Ziele im staatlichen Bereich von Cissé (legal geduldeter Aufschub in Paris) nicht verkehren kann, sich mit ihm aber ein So-lala-Stelldichein gibt, wobei die zerbrechliche Alice große Umsicht und aufrichtiges Stehvermögen bescheinigt als der schwarze Don Juan seine Hosen runterlässt …

Voll das Make-up!

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HEUTE BIN ICH SAMBA Alice (r.) entdeckt beim Macho die höchste Form der Fürsorge.

„Heute bin ich Samba“, erzählt den beschaulichen Inhalt einer (möglichen) Liebe konsequent aus zwei Perspektiven: Solange Alice und Samba unzertrennlich und unbekümmert durchs Bild streifen, zeigt der Spielfilm zugegeben nie Hochglanz, doch besonnen, aufpoliert und geglättet ist „Heute bin ich Samba“ allemal. Der Himmel strahlt blau, selbst wenn der Äther einmal grau meliert ist, und: als sich das Traumpaar mit dem Gedanken einer liebesbedürftigen und romantischen Beziehung fein herausputzt, nüchtern abwägend, dass die Zeit näher rückt, um sich leise Adieu zu sagen. Anders hingegen, wenn das skurrile Pärchen getrennt ist und, wo ein jeder der internationalen Stars in den diffizil-epidosenhaften Passagen für sich in Schönheit untergeht: Alice und das Burn-out-Syndrom, Cissé betrachtet die familiären Abgründe etwas von oben herab.

Über den Dächern von Paris

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HEUTE BIN ICH SAMBA Cissé und Walid dit Wilson (Tahar Rahim, l.) sind nicht der Brüller, aber amüsant in der Stadt der Liebe.

Da sitzt man auf der zweiten zwangsläufigen Ansicht fest: Als der Film Samba verbissen mit traditionellen Gastarbeiterjobs konfrontiert, in dem er die schmutzige Arbeit einer Gesellschaft verrichtet, gegen die im Grunde sein Verstand rebelliert, um die vorrangige Intention von „Heute bin ich Samba“ realistisch nachzuvollziehen  –  das ist die Menschendiskriminierung – halten Nakache/Toledano natürlich an der Vorliebe für klassisch französische Schnörkellosdramen fest. Die lebensechten und wirklichkeitsnahen Umstände bestimmen das Geschehen und, mag es Zufall sein oder nicht, ähnelt das Bildmaterial mehr dem thematisch-nüchternen Handkamera-Alltag der belgischen Dardenne-Brüder aus „Zwei Tage, eine Nacht“, 2014. Bei der erwähnten Sache in „Heute bin ich Samba“ antizipieren das Geschwisterpaar Delphine und Muriel Coulin (17 Mädchen“, 2011) als Koautorinnen – es steht in Ihrem Belieben, inwieweit Sie bei jenen Szenen Einfluss nehmen – aber in welchem Maß sie mit ihrem Drang nach Geltung Berücksichtigung finden, ist beleuchtet.

Letzte Ausfahrt Kaffeekränzchen

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HEUTE BIN ICH SAMBA Alice (r.) entdeckt den obligatorischen Interessenkonflikt zwischen Cissé und sich selbst.

Wie zum Beispiel die reizende Tankstellenannäherung (eine der schönsten Sequenzen des gesamten Werks) zwischen Samba und Alice: keine Musik, kaum Choreografie – nur klasse Schauspieler – über das Syndrom des Ausgebranntseins und miesen Kaffee, deren authentische Konversation ein Gespür für die grundverschiedenen Leben hervorruft, in der sich beide in einer undefinierbaren Mitte unvereinbar begegnen.

Dann trifft man Sambas Kumpel, Walid dit Wilson (Tahar Rahim) – „Le Passé – Das Vergangene“, 2013, –, einem algerischen Migranten, der sich als Brasilianer ausgibt, weil er damit bei den Französinnen besser landet, glaubt er. Oder in einer klassischen Situationskomik à la Hollywood, als die zwei ein Hochhaus von einem Fensterreinigungsgerüst aus fegen und den arbeitenden Frauen in der Vis-à-vis-Etage anziehende Blicke und anstößige Tanzeinlagen symbolisch zuwerfen, ersichtlich abgekupfert aus althergebrachten 80er-Jahren-Cokewerbespots.

 Das Fenster zum Glück im Unglück

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HEUTE BIN ICH SAMBA Walid dit Wilson (l.), der brasilianische Algerier, zeigt dem französischen Senegalesen Cissé, wie Pariser Mädchen für gewöhnlich aussehen.

Das mag wie eine schlagfertige Abklärung der Dinge klingen, aber die Filmemacher kreieren zu kurz gedachte Szenen zwischen Samba und Alice, den grob gezeichneten gegen den Strom Persönlichkeiten, die zwar für den Moment verzaubern, doch auf die gesamte Filmlänge gesehen, brennen die zwei kein Feuerwerk der Liebe ab, noch kann das flüchtige Techtelmechtel das grundlegende Problem von Cissé lösen. Um die ziemlich besten Freunde herum steht auch der kleine Kreis von Kumpels: Sambas ausgelassener Freund Walid, der für einige Lacher in seiner ersten lustigen Rolle beim Publikum sorgt, der pessimistische Onkel Jonas (Issaka Sawadago) sowie die neugierig beobachtenden Kollegen vom Amt der Einreisebehörde, insbesondere die sarkastische Manu, die völlig durch den Wind und dennoch der Volltreffer der Besetzungsliste der Nebendarsteller ist.

„Heute bin ich Samba“ zeigt insofern Sambas Position realistisch. Die Personen, die in der Lage wären sein Leben zu verändern, dürfen scheinbar nicht aufgrund beruflicher Laufbahnen, und die Handvoll Bekannter – außer seinem Vater, der im Sterben liegt – stecken in derselben aussichtslosen Situation wie Cissé fest. Und so beruft sich das Wohl und Wehe von Samba auf die kurze Affäre, die da Alice heißt, die, wie wir wissen, ihn bald verlässt, sobald sie von ihrer Depression genesen ist. Die politische Zwangsjacke bleibt aber weiter an Samba haften. „Heute bin ich Samba“ ist vor allem ein leichter, anschmiegsamer Film, der ohne jeden Zweifel das subtile politische Thema der Menschendiskriminierung in einem lockeren Spielfilm für Cineasten ersinnt und darüber hinaus gegen Rassenhetze mobil macht.

Heute bin ich Samba | OT  Samba | FR 2014 | Länge  118 Min. | Regie  Eric Toledano | Olivier Nakache | Darsteller  Omar Sy | Charlotte Gainsbourg | Tahar Rahim | Izïa Higelin | Issaka Sawadago | Hèléne Vincent | Christiane Millet | Adel Bencherif | Drehbuch  Olivier Nakache | Eric Toledano | Kamera  Stéphane Fontaine | Musik  Ludovico Einaudi | Produktion  Nicolas Duval | Yann Zenou | Laurent Zeitoun | Schnitt  Dorian Rigal-Ansous | Genre  Tragikomödie | FSK  ab 6 | Kinostart  26. Februar 2015 | DVD-Start  11. September 2015 | TV-Premiere  25. Juli 2017 |  ARDVerleih  Wild Bunch Germany

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